Peter Eötvös, der Komponist

Foto: Csibi Szilvia

In unserer Interview-Reihe über den Schirmherr der Chorakademie Peter Eötvös beleuchten wir verschiedene Facetten des Komponisten und Dirigenten. Hier spricht er über seine neueste Komposition und deren Schaffensprozess.

Herr Eötvös, was beschäftigt Sie zur Zeit künstlerisch?

Ich habe momentan ein sehr gutes Jahr voller Aufgaben und Aufführungen. Insgesamt gibt es neun Opern-Produktionen von mir. Das ist unglaublich, ich habe zehn Opern geschrieben und davon werden neun Produktionen in einem Jahr aufgeführt. Im Mai wurde die erste Aufführung von Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ hundert Jahre alt. Ich selbst habe die Oper zusammen mit „Senza Sangue“ dirigert, das ich extra dafür komponiert habe. Die anderen Produktionen sind „Angels in America“ in Münster und zwei Wochen später in Freiburg. Dann fliege ich nach Buenos Aires für die „Drei Schwestern“, das auf den Tag genau zwanzig Jahre nach der Uraufführung gezeigt wird. Außerdem kommen noch „Lady Sarashina“ und „Radames“  in Wien und in Koblenz „Der goldene Drache“. Das ist ein unglaublicher Aufmarsch und ich möchte alle meine Opern sehen.

Haben Sie neben den ganzen Opernaufführungen noch Zeit zum Komponieren?

Ich habe vor Kurzem ein Orchesterstück für das Lucerne Festival beendet. Die Uraufführung findet am ersten September statt. Das Stück ist fertig, es werden Kopiearbeiten gemacht und ich muss noch ein paar Korrekturen vornehmen bis schließlich die einzelnen Stimmen gedruckt werden.

Hat das Stück denn schon einen Namen?

Es heißt „Reading Malevich“ und ist eine Übertragung von einem Bild von Malewitsch in Töne und Klänge. Das Bild heißt „Suprematismus“. Ich habe versucht, die abstrakten Formen, die Malewitsch verwendet, proportional auf Klänge zu übertragen. Die Formen zu behalten, die Farben zu übernehmen, denn es gibt in der Musik genauso Farben wie in der Malerei.

Aber in der Musik gibt es kein Rot oder Blau, oder?

Doch, klar gibt es das.

Was ist denn dann Rot? Und wie klingt Blau?

Rot ist in diesem Fall ein sehr heller Streicherklang. Blau sind in diesem Stück drei Flöten und drei Klarinetten, die durch die weiche Klangfarbe, das hohe Register und sehr viel Bewegung eine Klangschattierung erzeugen, die ungefähr die gleiche Form wie auf dem Bild ergibt.

Und die anderen Farben: Gelb, grün, schwarz?

Grün gibt es auch. Und natürlich gibt es schwarz. Das ist ganz in der Mitte, da spielen alle und füllen aus, dann klingt das schwarz. Darauf bin ich selbst auch neugierig.

„Ich bin gezwungen, eine Aufgabe zu erfüllen“

Wie wichtig ist diese genaue Übertragung von visuellen in akustische Farben?

Eine Eins-zu-Eins-Übertragung ist nicht wichtig, aber beeinflusst natürlich stark den kompositorischen Prozess, weil man immer in eine bestimmte Richtung arbeitet. Was ist der Unterschied zwischen einem roten und einem schwarzen Material und wie komme ich von dem Einen zum Anderen? Das verlangt ein ganz anderes Denken. Was ich an diesem Prozess sehr gerne habe ist, dass ich gezwungen bin, eine Aufgabe zu erfüllen. Ich bin nicht frei, sondern habe ganz konkrete Maßstäbe, an die ich mich halten muss. Das erfordert Disziplin.

Suchen Sie sich in anderen Kompositionen auch solche Maßstäbe?

Ja, aber da gebe ich sie mir selbst vor, das ist dann eher Fantasiearbeit. Da kommt meine eigene Geschichte zur Geltung. Hier aber bin ich gezwungen Malewitsch zu folgen und das verlangt Aufgaben, die ich mir selber nie stellen würde.

Und warum ausgerechnet Malewitsch?

In Wien gab es eine Ausstellung „Chagall bis Malewitsch“. Die gesamte Ausstellung beschäftigte sich mit russischer Malerei Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, als Chagall zu seinem Geburtsdorf zurückkehrt. Er macht eine Malschule auf und bittet Malewitsch, als zweiter Lehrer mitzuwirken, obwohl Malewitsch vollkommen anders malt als Chagall. Bei Chagall gibt es Fantasiebilder mit ganz bestimmten Farben, da schweben Kühe und Esel mit den Beinen nach oben in der Luft. Ganz anders bei Malewitsch: Er malt ein rotes Rechteck, ein gelbes Rechteck und daneben ein paar schwarze Striche. Nach ein paar Jahren sind alle Studenten von Chagall zu Malewitsch gewechselt. Da stand der arme Chagall ohne Schüler da, die Avantgarde war wichtiger als sein schöner Fantasiestil. Das hat mich sehr bewegt.

Weil Sie sich mit Malewitsch oder Chagall identifizieren konnten?

Ich habe sofort an meine eigene Arbeit gedacht. Wenn ich plane, ein neues Stück zu schreiben, mache ich eigentlich die gleiche Strukturierung wie Malewitsch. Dann komme ich zur Ausführung und zum Schluss kommt ein Stück wie von Chagall raus. Ich gehe also den umgekehrten Weg, ich komme von Malewitsch zu Chagall, das ist meine Natur.

Gibt es momentan außer „Reading Malevich“ noch andere Kompositionen?

Ich bereite einige Projekte für das kommende Jahr vor, darunter sind ein Violinkonzert für Isabell Faust und ein Kontrabasskonzert für die Akademie der Berliner Philharmoniker. Ein lustiger Zufall, dass das ausgerechnet Stücke für das ganz hohe und ganz tiefe Streichinstrument sind. Das Kontrabasskonzert wird im Dezember 2019 aufgeführt und das Violinkonzert schon nächsten Sommer, da muss ich mich noch etwas beeilen.

Wir haben anfangs über Opern gesprochen, die aktuell viel von Ihrer Zeit beanspruchen. Wie sieht dort der Kompositionsprozess aus?

Jede Oper zu schreiben nimmt ungefähr vier, fünf Jahre in Anspruch. Ich unterrichte und dirigiere zwar parallel, aber eigentlich lebe ich während dieser Zeit in der Welt meiner Oper. Ich muss Teil davon sein und mich auf sie einlassen, sonst wüsste ich nicht wie ich sie gestalten soll. Die Figuren aus meiner Oper treten mir jeden Tag gegenüber. Nur so kann ich eine passende musikalische Sprache finden und ihre Charaktere formen. Es ist so, als ob ich in ein anderes Land fahren würde und dort lebe ich dann wie dessen Einwohner.

Das heißt Sie leben für fünf Jahre in Ihrem Opernland? Für „Angels in America“ also in einem Aidsland und für „Lilith“ in einem Land der Gleichberechtigung?

Ja, genau. Ich habe einen Freund, den Schriftsteller László Krasznahorkai, der bewusst alle drei oder vier Jahre in einem anderen Land lebt, um das kennenzulernen. Mir geht es ähnlich, ich fahre in mein Opernland.

Das Interview führte Sophie Emilie Beha